Samstag, 30. November 2013

Zimtsterne und Mandelplätzchen


© Janine Sander


Heute (schon seit zwei Stunden, auch wenn das System bei mir noch den 30.11. vorgibt "dank" Pazifischer Normalzeit) geht es bei mir los mit dem diesjährigen blogübergreifenden Adventskalender. Ich hoffe, wir haben wieder alle so viel Spaß wie im letzten Jahr. Ich danke Karo, dass sie mal wieder die Organisation in die Hand genommen hat, und wünsche euch allen einen schönen 1.Advent.

Zimsterne und Mandelplätzchen



Drei Tage vor Weihnachten herrschte geschäftiges Treiben in der Fußgängerzone. Vor zwei Stunden hatte ein dichtes Schneetreiben begonnen und inzwischen war die Straße schon mit einer Schneeschicht bedeckt. Weihnachtsklänge aus den Geschäften mischten sich mit dem lauten Klopfgeräuschen der nahen U-Bahn-Baustelle. Es war erstaunlich, dass dort trotz des Wetters noch immer weiter gearbeitet wurde.

Matthias stapfte mit den Händen in den Hosentaschen und gesenktem Kopf durch die Gasse. Er schlängelte sich durch die Menschenmenge. Diese Zeit des Jahres war die schrecklichste. Mit Grauen dachte er schon daran, am Heiligabend wie jedes Jahr am Tisch der Familie sitzen und sich die Vorhaltungen anhören zu müssen. „Bist du wirklich sicher, dass du schwul bist? Willst du es nicht mal mit einem Mädchen versuchen? Alina ist so ein nettes Mädchen und sie mag dich.“ Wie oft hatte er sich diese Dinge schon anhören zu müssen? Im Laufe des Abends wandte sich das Blatt dann zwar meist und die Fragen gingen dann eher in die Richtung. „Warum hast du dann nicht wenigstens einen Freund? Wir haben noch nie einen Freund von dir kennengelernt.“ Bisher hatte es noch nie jemanden in seinem Leben gegeben, den er seinen Eltern hatte vorstellen wollen. Seine längste Beziehung hatte einen Sommer gedauert. Wenn er seinem Bruder Glauben schenken konnte, war es gut so, dass er Konstantin in den Wind geschossen hatte, auch wenn er sich selbst die letzten Wochen sehr einsam gefühlt hatte.

Mit schnellem Schritt bog er um die Ecke. Er wollte endlich nach Hause und dem ungemütlichem Wetter entfliehen. Doch weit kam er nicht. Sein Schwung endete abrupt, als er mit jemandem zusammenstieß. Matthias kam ins Straucheln, aber der Mann, mit dem er zusammengestoßen war, rutschte aus und stürzte. Dabei fiel ihm eine Einkaufstüte aus der Hand und allerlei Zeug verteilte sich auf dem Bürgersteig.

„Sorry“, entschuldigte sich Matthias sofort, „meine Schuld. Ich habe nicht aufgepasst.“ Er stand auf und suchte die verstreuten Einkäufe zusammen, um sie wieder in die Tüte zu stopfen. Der Mann kniete noch auf dem Boden und tastete im Schnee herum. Erst jetzt sah Matthias den Blindenstock, der ihm aus der Hand gerutscht war. Mist! „Es tut mir so leid“, sagte er, in dem er den Stock an die Hand des Mannes schob und ihm half aufzustehen. Der Anblick raubte ihm den Atem. Der Kerl sah einfach toll aus. Er schätzte ihn auf Mitte Zwanzig, also in seinem Alter. Blonde lockige Haare waren mit Schneeflocken besetzt. Die blauen Augen blickten an ihm vorbei, auch wenn er sich langsam zu fangen schien. Er fummelte an seinem Blindenstock herum, bis er ihn wieder fest in der Hand hielt. Irgendwie hatte sich dieser Klappstock wohl verdreht und er brauchte einen Moment, bis er so war wie er ihn haben wollte. „Wo ist meine Tüte?“ fragte er. Eine Stimme wie Samt. Matthias klappte den Mund auf und zu. Er brauchte einen Moment, bis er seine Stimme wiederfand. Wenn es Liebe auf den ersten Blick gab, dann musste es so geschehen und er war hoffnungslos verloren. „Äh….hier…..“, stammelte er und reichte ihm die Griffe des Beutels in die Hand. Als sich ihre Hände berührten, ging ein Elektrostoß durch Matthias Körper. Er errötete und schnappte nach Luft. Dann fing er sich wieder und streckte die Hand aus. „Ich….ich bin Matthias. Tut mir echt leid. Kann ich dich zur Entschuldigung auf einen Kaffee einladen?“
 „Schon in Ordnung“, meinte die Samtstimme, „ist ja nichts weiter passiert.“
Matthias zog seine Hand wieder zurück. Der Typ war blind. Natürlich konnte er ihm nicht einfach die Hand reichen. Aber er konnte ihn jetzt nicht einfach gehen lassen. „Zum Glück ist nichts passiert. Aber einen Kaffee ist es schon wert. Oder ein Bier, wenn du das lieber hast, oder was anderes.“
Samtstimme lächelte….und sah einfach umwerfend aus dabei. „Ich hab keine Zeit, aber danke für das Angebot. Mach dir keinen Kopf. Mir geht es gut.“

Er klappte den Stock wieder aus und ging weiter. Matthias blieb einen Augenblick stehen und schaute ihm nach. Bewundernd blickte er ihm nach, wie er mit festen Schritten seinen Weg machte. Ohne groß nachzudenken, folgte er ihm mit einigen Metern Abstand. Der Typ war wie ein Magnet, der ihn anzog. Vollkommen verrückt, denn er kannte den Mann doch gar nicht.
Zielsicher steuerte der Unbekannte eine der Buden an, die am Beginn des Weihnachtsmarktes auf dem Marktplatz standen. Wenn man nicht auf das gedämpfte Klacken des Stockes auf dem schneebedeckten Boden achtete, konnte man kaum glauben, dass der Mann nicht sehen konnte. Aber das war zumindest sicher. Kurz bevor er den Tresen der Bude erreicht hatte, kam plötzlich ein kleiner Junge zwischen den Buden hervor und rannte genau in den Mann rein. Es war wie ein Déjà-vu. Für Matthias als stillen Beobachter ebenso wie für den unbekannten Mann.

Mit wenigen Schritten war Matthias neben ihm und sammelte nun schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ein paar Orangen aus dem Schnee. „Ist wohl nicht dein Tag, was?“
„Du schon wieder? Verfolgst du mich?“ Die Samtstimme klang plötzlich ein wenig ungehalten. Dabei hatte er nicht einmal unrecht. Matthias zögerte einen Moment und überlegte, was er sagen sollte, dann entschied er sich für eine Ausflucht. „Anscheinend brauchst du heute einen Schutzengel.“

„Philly, ist dir etwas passiert?“ Eine junge Frau mit einer weißen Schürze kam plötzlich hinzu und stürzte sich in die Arme des Unbekannten. „Ich habe es genau gesehen. Das war der ungezogene Bengel von der Wurstbude. Kein Wunder, dass er sofort wieder abgehauen ist. Geht es dir gut?“  Matthias blieb stehen und sah zu, wie „Philly“ sich unwirsch losriss. „Alles in Ordnung. Ich bin nicht aus Zucker. Was wollt ihr bloß alle von mir. Ich kann allein auf mich aufpassen. Begreift das endlich.“

Matthias trat zwischen die beiden Streithähne, als er das fragende Gesicht der Frau sah. „Mit „ihr“ meint er wohl mich“, erklärte er und streckte die Hand aus. „Ich bin Matthias und habe deinen Freund vor ein paar Minuten auch schon einmal umgerannt.“  Mit einem Lächeln ergriff sie die angebotene Hand. „Mein Bruder“, erläuterte sie. „Eigentlich ist Philipp ganz verträglich. Nur wenn er meint, dass man ihn bevormunden will, wird er zum Biest.“   „Ich bin hier. Schon vergessen?“ Die samtige Stimme sandte erneut einen Schauer durch Matthias Körper, auch wenn sie im Moment ziemlich wütend klang. „Siehst du. Er zickt schon wieder rum, obwohl wir gar nichts gemacht haben.“ Das Mädchen lachte. „Ich heiße Betty. Also eigentlich Bettina, aber das finde ich schrecklich. Wie gesagt, lass dich von Phils Bärbeißigkeit nicht abschrecken. Er ist eigentlich ganz lieb.“ Zornig drückte Philipp seiner Schwester den Beutel in die Hand und drehte sich um zum Gehen. „Hier hast du dein Zeug, was du unbedingt haben wolltest.“

„Philipp Weinert, du bleibst jetzt hier“, befahl Betty resolut. „Du trinkst jetzt einen Glühwein bei mir und dann bringe ich dich nach Hause. Es war eine blöde Idee von mir, dich ausgerechnet bei dem Wetter um Hilfe zu bitten.“ Sie drehte sich zu Matthias um. „Du bist auch eingeladen. Glühwein mit oder ohne Schuss. Schmeckt lecker.“

Kurze Zeit später stützte sich Matthias auf dem Tresen des Glühweinstandes ab und nippte an dem heißen Getränk. Süß und süffig. Es schmeckte nach mehr. Betty quasselte die ganze Zeit, aber Matthias Aufmerksamkeit galt allein ihrem Bruder, der neben ihm lehnte und seine Hände um den heißen Becher geschlossen hielt. Philipps Gesicht wirkte immer noch grimmig, aber er hatte nicht gewagt, sich gegen seine Schwester aufzulehnen.
„Schmeckt’s?“, fragte Betty ihn direkt, doch Matthias brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass er der Adressat der Worte war. Er nickte und zwang sich, seinen Blick von Philipp zu seiner Schwester wandern zu lassen. „Sehr lecker, wie versprochen“, gab er zu. „Ich habe in diesem Jahr noch gar keinen Glühwein hier getrunken. Ein echtes Versäumnis, vor allem wenn es so nette Verkäuferinnen gibt.“ Betty lachte. Außenstehende konnten seine Worte sicher als Flirt auffassen, aber seltsamerweise war sich Matthias ziemlich sicher, dass Betty ihn verstand. Ihr Blick schwankte wissend zwischen ihrem Bruder und ihm hin und her. Matthias wartete nun nur auf ein Zeichen, ob Philipp wirklich am selben Ufer fischte wie er. Irgendetwas an dem Blinden zog ihn magisch an. Er konnte sich nicht dagegen wehren und verdrängte deshalb alle Gedanken daran, ob er sich wirklich auf jemanden einlassen wollte, der nicht sehen konnte.

Es dämmerte und immer mehr Lichter erleuchteten den Platz, der sich langsam füllte. Auch das dichte Schneetreiben hielt die Menschen nicht vom Besuch des Weihnachtsmarktes ab. Die Schlange an Bettys Stand wurde immer länger und sie hatte gut zu tun. Matthias fasste Philipp an den Arm und schob ihn ein wenig weiter an den Rand. „Es wird immer voller“, erklärte er entschuldigend, als der andere Mann sich ruppig befreien wollte. „Hier sind wir noch geschützt, stehen aber nicht im Weg.“ 

Philipp nickte. Geredet hatte er in den letzten Minuten kaum, den Großteil der Unterhaltung hatte seine Schwester bestritten, aber Matthias hatte ihn die meiste Zeit beobachtet und an seinen Gesichtsausdrücken beobachten können, was er von dem Geplapper seiner Schwester hielt. Es war ungemütlich und kalt. Scharfer Wind trieb die Schneeflocken über den Platz und auch wenn sie von der Überdachung des Standes ein wenig geschützt waren, spürte Matthias, wie die Kälte langsam in seinen Körper kroch. Da half auch der heiße Glühwein nur bedingt. „Was hältst du davon, wenn ich dich nach Hause begleite“, fragte Matthias nach einer Weile des Schweigens. „Betty ist im Moment schwer beschäftigt und es wird langsam ziemlich kalt.“ Philipp ließ seine Hände tastend über den Rand des Tresens bis zum Ende des Standes gleiten. Dann wandte er sich dem Ort zu, wo er Matthias vermutete. „Ich kann sehr wohl auch allein nach Hause gehen“, sagte er bestimmt. „Das glaube ich dir sofort“, entgegnete Matthias schnell, „aber deine Schwester fühlt sich einfach besser, wenn du es nicht musst, und ich habe wahrscheinlich sowieso den gleichen Weg.“ Er hatte keine Ahnung, wo 
Philipp hinmusste, aber das war ihm egal. Wenn er dafür erfuhr, wo er wohnte, konnte er sich überlegen, wie er ihm weiter begegnen konnte. „So, woher weißt du das? Bist du allwissend?“ 

Philipp war noch immer schnippisch und wütend, aber dann ergab er sich seinem Schicksal. „Wenn es dich befriedigt, kannst du den Krüppel nach Hause begleiten. Dann sind alle zufrieden.“ Betty hatte nur die letzten Worte ihres Bruders gehört und nickte Matthias eifrig zu, bevor sie ihren Bruder wütend anfunkelte. „Wir wissen, dass du alles allein kannst, kleiner Bruder. Aber Matthias ist so nett, dich bei diesem beschissenen Wetter zu begleiten. Nicht weil du blind bist, sondern weil er dich mag, du Trottel.“

Ungeduldige Rufe holten Betty wieder zur Arbeit zurück, während Matthias ein wenig unsicher auf Philipp schaute. Er wusste nicht so richtig, wie er sich verhalten sollte. Philipp hielt viel auf seine Unabhängigkeit und Matthias wollte sich nicht noch unbeliebter machen als er eh schon war. Der Typ, der ihn vom ersten Moment so unerklärlich fasziniert hatte, klappte seinen Blindenstock wieder aus und hielt den Griff fest umklammert. Dann drehte er sich um zum Gehen. „Wenn du deine gute Tat heute unbedingt an mir ableisten willst, dann führst du mich aus dem Getümmel, ohne dass mich noch einmal einer umrennt.“  Matthias ließ sich nicht zweimal bitten. Er griff nach Philipps Arm und machte sich auf den Weg. Der Boden war rutschig. Inzwischen war es auf dem Marktplatz recht voll und er musste Schlangenlinien laufen, um aus dem Gewirr von Menschen herauszukommen. Er vergaß, dass sein Begleiter nichts sehen konnte und wunderte sich, dass Philipp ihm nicht automatisch folgte. Eine abrupte Bewegung ließ ihn ausrutschen und Matthias griff beherzt zu. Ungefragt schlang er seinen Arm um Philipps Hüfte und lenkte ihn gekonnt durch die Massen. Erst als sie den Marktplatz verlassen hatten, ließ er Philipp wieder los. Viel lieber hätte er ihn weiter im Arm gehalten, aber es erschien im unangemessen. „Hier ist es nicht mehr so voll“, erklärte er, „du musst mir nun sagen, wo wir genau hinmüssen.“

Überrascht nahm Matthias die Adresse zur Kenntnis. Das war noch ein ganzes Stück entfernt. Er würde an seiner Wohnung vorbeilaufen müssen. Schade eigentlich. Er fror schon jetzt. Aber dennoch würde er sein Versprechen einlösen und Philipp bis nach Hause bringen. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her. Das Geräusch des Stocks, der gleichmäßig auf den Boden schlug, war der einzige Laut, der zu hören war. Matthias versteckte seine Hände wieder in der Jackentasche und überlegte nach den richtigen Worten für ein Gespräch.

„Warst du schon immer blind?“, unterbrach er die Stille. Einen Augenblick fürchtete er, dass seine Frage die Stimmung zwischen ihnen noch weiter verschlechtert hatte, doch dann antwortete Philipp mit einem Mal mit ruhiger Stimme. „Nein. Es war ein Unfall, als ich sechzehn war. Was haben wir heute, den 21.Dezember? Dann sind es acht Jahre und 362 Tage.“ Matthias brauchte einen Moment, um diese Information zu verarbeiten. „Aber….das heißt ja…….“ Er brach ab, weil er das Unfassbare nicht noch in Worte kleiden wollte. „…das heißt, dass der Unfall an Heiligabend war“, vollendete Philipp seinen Satz, „das ist wahr.“ Er lachte kurz auf, aber es war kein fröhliches Lachen. „Gemeinerweise noch vor der Bescherung und hinterher hatte ich für die Playstation keine Verwendung mehr.“ „Scheiße!“ „Kann man wohl sagen: Große Scheiße!“ Matthias blickte zur Seite und sah das schimmernde Glitzern in den toten Augen des anderen Mannes. „Es tut mir leid…“ Die Worte waren aus seinem Mund gekommen, bevor er nachdenken konnte. „Und mir erst!“ Philipp schluckte die aufkommenden Tränen tapfer hinunter und lief weiter. Matthias griff stumm nach Philipps Hand und drückte sie. Es erschien ihm wichtig, Trost zu spenden, wofür es keine Worte gab.
Beinahe wären sie an dem Haus vorbeigelaufen, in dem Philipp wohnte. „Halt! Wir sind schon hier“, rief Matthias plötzlich und stoppte. Er führte seinen Begleiter zur Haustür und löste ihre Verbindung nur ungern. Sie standen beide vor dem Haus und traten unsicher von einem Fuß auf den anderen. Irgendwie hatte sich die Situation zwischen ihnen verändert. „Danke“, sagte Philipp leise. „Du bist jetzt ziemlich weit von deinem Zuhause entfernt, nicht wahr?“ Er lächelte verschmitzt. „Ich bin zwar blind, aber ich habe bemerkt, wie du im Beckerweg recht lange zur Seite geschaut hast. Deshalb vermute ich mal, dass du da hinmusstest. Stimmt’s?“ Wahnsinn! Matthias war sich noch nicht einmal bewusst, dass er weggeschaut hatte. Er nickte sprachlos, bis ihm einfiel, dass Philipp seine Antwort so nicht mitbekommen konnte. „Ja, stimmt“, wiederholte er deshalb noch einmal mit Worten. Philipp holte seinen Schlüssel aus der Jacke und spielte einen Moment verlegen mit ihm. „Willst du noch mit reinkommen?“, fragte er leise, „ich müsste sogar noch ein paar Flaschen von Bettys Glühwein dahaben, wenn du willst… oder Kaffee… oder Cola….“ Ein breites Grinsen schlich sich auf Matthias Gesicht. „Gern. Ich nehme aber lieber Kaffee. Der Alkohol reicht für heute. Sonst fange ich nachher noch an zu singen.“

Philipp schloss die Tür des zweistöckigen Hauses auf und ging voran. Mit festem Schritt ging er auf die Treppe zu, während Matthias erst einmal nach dem Lichtschalter suchte. „Sorry, das vergesse ich immer“, meinte Philipp entschuldigend. Er schloss die Tür zu seiner Wohnung auf und tastete nach dem Schalter. Das Licht im Flur ging an. Interessiert schaute Matthias sich um. „Geh schon mal voraus ins Wohnzimmer. Geradeaus. Ich setze schnell Kaffee auf und komme dann nach.“ Er legte seinen Stock zusammengeklappt auf die Flurgarderobe, hängte seine Jacke an und ging in die dunkle Küche. Fasziniert sah Matthias ihm nach, bevor er sich auf den beschriebenen Weg machte. Im Wohnzimmer betätigte er den Lichtschalter vergeblich, es blieb dunkel. „Du musst die Stehlampe in der Ecke anmachen. Die Birne an der Decke ist schon eine ganze Weile kaputt. Ich vergesse das immer wieder, weil ich sie nicht brauche. Sorry!“ Als Matthias den Schalter des Deckenstrahlers betätigte, sah er ein nicht besonders großes, aber gemütlich eingerichtetes Zimmer. Eine Ecke war mit einem Schreibtisch samt Computer und Drucker besetzt, in der anderen stand ein Dreisitzer mit zwei Kissen und einer ordentlich zusammengefalteten Decke, direkt gegenüber von einem riesigen Flachbildschirm. Ein ganz normales Wohnzimmer halt, wenn man davon absah, dass es extrem aufgeräumt wirkte und damit im krassen Gegensatz zu seiner eigenen Bude war. Matthias sah sich die CDs im Regal an. Sie waren alphabetisch geordnet. Als er eine in die Hand nahm, sah er den seltsamen Aufkleber in Blindenschrift, der es auch Philipp ermöglichte, den Titel zu lesen.

„Milch und Zucker?“, fragte Philipp, der mit einem Tablett in den Händen ins Zimmer kam, das er auf dem niedrigen Couchtisch abstellte. „Der Kaffee dauert noch einen Moment. Ich habe auch ein paar Kekse.“ Er lauschte einen Augenblick und lächelte dann in Matthias Richtung. „Hast du etwas gefunden, was du hören magst? Bedien dich. Du siehst ja den CD-Player.“ Dann setzte er sich hin und nahm einen Keks von dem Teller, der vor ihm stand.

„Wie machst du das?“, erkundigte sich Matthias neugierig, „ich meine, woher weißt du, wo ich bin. Obwohl du mich nicht sehen kannst?“ Allein das Lächeln, das auf Philipps Gesicht erschien, machte ihn noch begehrenswerter. Es war offensichtlich, dass er sich in seiner eigenen Wohnung  sicher und geborgen fühlte. „Man sagt immer, dass die anderen Sinne sich besser ausprägen, wenn einer nicht mehr funktioniert“, meinte er. „Scheint zu stimmen. Am Brechen des Schalls kann ich Entfernungen schätzen. Aber das klingt viel zu theoretisch. Ich weiß es einfach. Keine Ahnung woher.“

Matthias ging hinüber zu Philipp und setzte sich neben ihn auf die Couch. Sein Magen knurrte laut. Die Chocolate Chip Cookies sahen zwar lecker aus, aber sein Körper verlangte nach etwas Herzhaftem. „Was hältst du davon, etwas zu bestellen?“, fragte er ein wenig unsicher. Die Einladung zum Kaffee bedeutete nicht unbedingt, dass Philipp ihn länger in seiner Nähe duldete. „Pizza oder so? Ich lade dich ein. Du hast  sowieso noch etwas bei mir gut. Habe ich schließlich versprochen.“ „Okay, wenn du willst“, stimmte Philipp ohne Widerspruch zu, „musst du aber nicht. Ich habe bestimmt auch noch irgendwas in der Tiefkühltruhe. Doch wahrscheinlich lässt du mich eh nicht in Ruhe, bevor du mir etwas spendiert hast, oder?“

Während Philipp den Kaffee aus der Küche holte und sich selbst Milch und Zucker unterrührte, rief Matthias beim Pizzaservice an, dessen Nummer er glücklicherweise im Handy gespeichert hatte. Fünfundvierzig Minuten hatte er nun Zeit, den Mann, der ihn sofort fasziniert hatte, besser kennenzulernen. Da Philipp es ihm erlaubt hatte, holte er eine CD, die ihm gefiel, aus dem Regal und legte sie in den Player ein. Ihr Musikgeschmack ähnelte sich anscheinend sehr. Eher unüblich für Leute Mitte Zwanzig.

Leise Bluestöne erklangen durch die Surroundlautsprecher und hüllten den Raum in einen vollen Klang. „Eine meiner absoluten Lieblinge“, erklärte Philipp überrascht. „Ich kenne nicht viele, die das auch mögen.“ Mit Musik hatten sie ein Thema gefunden, über das sie sich austauschen konnten. Die Zeit verging wie im Fluge und erstaunt hörten sie die Türklingel, die ihre Pizzalieferung ankündigte. Während Matthias den Boten empfing, holte Philipp Geschirr und Besteck aus der Küche sowie eine Flasche eisgekühlter Cola. Vertraut wie zwei alte Freunde saßen sie zusammen und aßen Pizza. Sie lachten und unterhielten sich. Matthias ließ Philipp erzählen, der immer lockerer wurde und Dinge aus der Vergangenheit erzählte, ohne dass Matthias groß nachbohren musste. Matthias liebte den samtigen Klang der Stimme und konnte ihm stundenlang zuhören. Nach dem Essen hatte er die Lampe ausgemacht. Nur noch der dunkle Schein der Straßenlaterne brachte etwas Licht ins Zimmer. Seine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit, aber er wollte sich gar nicht vorstellen, was permanente Dunkelheit für einen Menschen zu bedeuten hatte.

„Ich hole noch eine Cola“, erklärte Philipp, als er den letzten Tropfen in sein Glas gegossen hatte, „du bleibst doch noch einen Moment, oder?“ Hatte er sich getäuscht, oder hatte die Stimme bittend geklungen? Es war schon recht spät geworden, aber Matthias hatte am nächsten Morgen nicht viel vor und konnte ausschlafen. Nichts trieb ihn momentan nach Hause in seine einsame Wohnung. Auch wenn er nicht wusste, was das hier war, aber es fühlte sich gut an. „Solange du mich nicht rauswirfst, bleibe ich gern noch“, antwortete er leise. Glücklicherweise konnte Philipp nicht sehen, dass sein Gesicht gerade knallrot war, denn in Windeseile waren Gedanken durch seinen Kopf gerast, die alles andere als jugendfrei waren. „Du kannst bleiben, solange du willst“, rief Philipp aus der Küche, bevor er wieder zurück ins Zimmer kam und sich neben ihn auf die Couch setzte. „Es macht Spaß, wenn man abends nicht allein sein muss.“

Matthias hatte ein Bein auf die Sitzfläche gezogen und sich ein wenig gedreht, um Philipp besser beobachten zu können. Gegen das helle Fenster zeichnete sich die Silhouette ab und es kostete Matthias große Überwindung, seine Hand nicht auszustrecken und mit den Fingern durch die wilden Locken zu streichen. Seine Fußspitze berührte Philipps Schenkel und er widerstand der Versuchung, mit den Zehenspitzen die Seite entlang zu fahren. Hastig zuckte der andere Mann ein Stück weg und Matthias fühlte sich ertappt. „Willst du noch einen Keks?“, fragte Philipp plötzlich, „wenn du Schokoladenkekse nicht magst, habe ich auch noch ein paar selbstgebackene Zimtsterne da.“ Er stand auf und wollte in die Küche gehen, doch Matthias hielt ihn an der Hand zurück. Er sprang auf und sammelte seinen ganzen Mut zusammen. Die Dunkelheit half ihm, seine Zweifel auszublenden und einfach zu tun, wonach er sich schon seit Stunden sehnte. Vorsichtig legte er seine Hände in Philipps Nacken und presste seinen Mund sanft auf die verführerischen Lippen des anderen Mannes. Dieser verspannte zunächst und zuckte zurück, doch dann erwiderte er den Kuss mit der gleichen Sehnsucht. Philipps Hände krallten sich in Matthias Seite und er vertiefte den Kuss, indem seine Zunge Einlass begehrte in die unbekannte Höhle. Aus einer sanften Berührung der Lippen wurde ein leidenschaftlicher Kuss, der beiden die letzte Luft raubte. Atemlos trennten sich schließlich ihre Münder, doch ihre Körper waren noch immer aneinander gepresst und zeigten dem anderen mehr als deutlich, was für eine Situation das war. „Du weißt aber schon, was du hier machst, hoffe ich“, flüsterte Philipp atemlos, „ich will nicht, dass man mich mit Samthandschuhen anfasst, aber ich will auch nicht ausgenutzt werden.“

Stumm nahm Matthias ihn an die Hand und setzte sich wieder mit Philipp auf die Couch. Bevor er zu reden begann, beugte er sich nach unten und drehte das Licht wieder auf. Bei dem, was er sagen wollte, musste er die Reaktionen des anderen sehen können. „Ich weiß sehr wohl, was ich tue. Mit jeder Minute, die ich länger in deiner Nähe war, wollte ich es mehr. Ich kann dir hier und jetzt nicht versprechen, dass wir glücklich bis ans Ende unserer Tage zusammen leben werden, aber du hast mich vom ersten Augenblick an fasziniert und ich wollte dich unbedingt näher kennenlernen. Bisher habe ich „Liebe auf den ersten Blick“ immer für Schwachsinn gehalten, aber ich habe auch noch nie eine so tiefe Verbindung gespürt, wenn ich jemanden zum ersten Mal gesehen habe.“ Philipps Mund öffnete sich zu einer Entgegnung, aber Matthias verschloss sie sogleich mit einem Kuss. „Vielleicht war es einfach Schicksal, das uns hat zusammenstoßen lassen.“

„Woher wusstest du überhaupt, dass ich……“, begann Philipp, nachdem sie sich nach einem langen zärtlichen Kuss wieder getrennt haben, „woher wusstet du, dass ich schwul bin?“ Matthias zuckte lächelnd mit den Schultern. „Ich hatte es vielleicht am Anfang nur gehofft. Wirklich gewusst habe ich es erst, als du mir keine Ohrfeige gegeben hast, als ich dich geküsst habe.“ Unbewusst hatten sie das Thema etwaiger Partner aus ihrem Gespräch gelassen. „Eigentlich hättest du die so oder so verdient“, neckte Philipp ihn, „einen armen Blinden einfach so zu überfallen.“ Ehe Matthias sich jedoch verteidigen konnte, hatte Philipp ihn wieder an sich herangezogen und geküsst.

„Darf ich dich einmal……ansehen?“, fragte Philipp nach einer Weile leise. Matthias verstand sofort, was sein Freund sagen wollte. Er nahm dessen Hände und legte sie auf sein Gesicht. Sanft strichen Philipps Fingerkuppen über die Konturen des Gesichts, ertasteten die Ohren und wuschelten durch die Haare. „Du bist schön“, sagte er schließlich leise, „was für eine Farbe haben deine Augen und dein Haar?“ Matthias entließ den angehaltenen Atem und spürte dem wohligen Schauer nach, der sich bei Philipps Berührungen über seinem ganzen Körper verteilt hatte. „Grün und so ein seltsames Straßenköterblond“, gab er schließlich zu, „viel weniger schön als deine Augen- und Haarfarbe.“

Philipp schüttelte nur den Kopf und führte seine Erkundung voller Konzentration fort. Er schloss die Augen, als seine Hände an Matthias Hals nach unten wanderten, über die Schultern und schließlich von unten unter den Pullover flüchteten.  „Warte!“, rief Matthias heiser und zog sich den Pullover samt Unterhemd über den Kopf, um seinen blanken Oberkörper darzubieten. Sein Brustkorb hob und senkte sich in freudiger Erwartung der sanften Berührung, als er ein wenig näher rutschte. Ein Keuchen entfuhr seinen Lippen, als Philipps Finger ihren Weg über die Brustwarzen suchten. Unwillkürlich zog er den Bauch ein und ärgerte sich einmal mehr über seine Trainingsfaulheit. Gern hätte er jetzt den perfekten Körper präsentiert, aber er wusste ganz genau, dass ein paar Kilos zu viel seine Rippen bedeckten. „Du bist schön!“, wiederholte Philipp dennoch. „Was willst du nur von mir?“

Ohne weitere Worte zog Matthias seinen Freund in seine Arme und streckte sich mit ihm auf der Couch aus. Er küsste ihn sanft auf die Schläfe und lauschte dem gemeinsamen lauten Pochen ihrer Herzen. Alles erschien plötzlich so einfach. Obwohl es noch viel zu bereden gab, reichte im Moment die gegenseitige Berührung und Nähe aus, um ihn perfekt zu machen.

oooooooOOOOOOOooooooo

“Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Geh lieber allein. Deine Eltern bekommen mit Sicherheit einen Schock, wenn sie mich sehen.“ Philipp versuchte ein letztes Mal, seinen Freund von der Idee abzubringen, ihn mit zum großen Weihnachtsessen bei seinen Eltern zu nehmen. „Was ist, wenn ich irgendetwas kaputtmache oder umwerfe?“

„Es ist eine hervorragende Idee“, freute sich Matthias, „den Schock haben sie schon bekommen, als ich mein Kommen für Heiligabend so kurzfristig abgesagt habe, weil ich den Tag bei meinem Freund verbringen wollte. Am ersten Feiertag geht es bei uns immer weniger steif zu als am Abend zuvor. Ich bin doch bei dir und kann dir helfen. Außerdem werden sie dich lieben. Man muss dich einfach lieben.“

Lächelnd krabbelte Matthias wieder näher an seinen Freund heran. Unglaublich, dass Philipp und er sich erst drei Tage kannten. Es fühlte sich nach viel länger an. Er war sein Vertrauter und Seelenverwandter. Wenn ihm irgendjemand so einen Quatsch noch vor ein paar Tagen erzählt hätte, hätte Matthias ihn ausgelacht. Bei der Frage, ob er sein Leben einmal an der Seite eines Blinden verbringen wollte, hätte er wahrscheinlich auch vehement mit dem Kopf geschüttelt. Aber mit Philipp war alles ganz anders. Dass er nicht sehen konnte, machte Matthias nichts aus. Er ärgerte sich eher über sich selbst, weil er oft nicht daran dachte und unbedacht etwas tat, was seinen Freund in Probleme brachte. Aber das würde sich mit der Zeit einspielen, da war er sicher. In seiner gewohnten Umgebung bewegte sich Philipp vollkommen sicher, aber er konnte verstehen, dass er vor neuen Orten einen gehörigen Respekt hatte.

„Wir bleiben nur solange wir müssen und dann belohne ich dich“, versprach Matthias, indem er seinen Finger über den Schritt seines Freundes gleiten ließ und erstaunt zur Kenntnis nahm, dass sich sofort etwas regte. Außer stundenlangen Streicheleinheiten und ein paar gegenseitigen Handjobs war noch nichts zwischen ihnen geschehen, aber zum ersten Mal war Matthias mit einem Mann zusammen, bei dem sich seine Gedanken nicht nur darum drehten, wie er ihn am schnellsten ins Bett bekommen konnte. Das heißt…ins Bett hatte er ihn sehr schnell bekommen….

Ein wenig nervös war er vor dem Besuch bei seinen Eltern auch. Aber das war er auch vor dem gestrigen Besuch bei Philipps Familie gewesen. Nachdem Betty am Tag nach ihrem Kennenlernen mitbekommen hatte, dass Matthias bei ihrem Bruder geschlafen hatte und die beiden nun mehr oder weniger ein Paar waren, hatte sie laut gequietscht und darauf bestanden, dass Matthias an Heiligabend mit zu den Weinerts kam. Sie hatte ihm keine Wahl gelassen und schließlich hatte er lachend kapituliert.

Philipp hatte gestrahlt und ihm die ganze Zeit die Hand fast zerquetscht, als sie sich auf den Weg gemacht hatten. Ein kleiner Zwischenstopp in seiner Wohnung musste sein, um sich festlich umzuziehen, nachdem er zwei Tage mit Philipps Klamotten herumgelaufen war. Es war ein Moment gewesen, wie sie ihn wahrscheinlich noch viele erleben werden. Matthias hatte Philipp einfach im Flur stehen lassen und ihm nur gesagt, er solle sich ins Wohnzimmer setzen. Dann war er im Schlafzimmer verschwunden und hatte es draußen plötzlich scheppern hören. Es war nur die Metallschale gewesen, in der er immer seine Schlüssel ablegte. Als Philipp gegen die Kommode gelaufen war, war die Schale zu Boden gefallen. Es war nichts passiert, aber sie hatten sich beide erschreckt. „Mist! Tut mir leid“, sagte Matthias zerknirscht und verbat sich Philipps Entschuldigungen, „versprich mir einfach, dass du etwas sagst, wenn ich mich wieder so dämlich verhalte, ja?“ Er legte seinen Arm um Philipps Taille und führte ihn behutsam ins Wohnzimmer zur Couch. „Bin gleich wieder da.“ Er küsste ihn auf die Stirn und verschwand in seinem Zimmer zum Umziehen. Nach kurzer Zeit waren sie wieder auf dem Weg zu Philipps Familie und nun war es Matthias, den die Nervosität überkam.

Es war ein harmonisches Fest in einer Familie, in der man die Liebe aller untereinander spürte. Die Wohnung war festlich geschmückt mit vielen Lichtern. Es roch nach Orangen und Zimt. Auf dem Tisch stand ein großer Teller mit selbstgebackenen Plätzchen. Zimtsterne und Mandelplätzchen, von denen Matthias schon unzählige in den letzten Tagen bei seinem Freund gegessen hatte. Matthias wurde mit offenen Armen im Kreis der Familie aufgenommen. Alle freuten sich unbändig, dass Philipp einen Freund gefunden hatte. In den Stunden lernte Matthias viel darüber, wie er seinen Freund unauffällig unterstützen konnte. Natürlich musste er viel über sich erzählen. Das tat er gern, nur bei den Fragen nach seiner Familie wich er aus. Erstaunt nahm er die Geschenke entgegen, die Philipps Eltern und sogar Betty auf die Schnelle besorgt hatten. Die neueste CD seines Lieblingskünstlers, die erst vor ein paar Tagen herausgekommen war. Er selbst war fast ein wenig verschämt, dass er außer einer Flasche Wein als Mitbringsel keine weiteren Geschenke hatte. Nicht einmal für Philipp.

„Erwarte nicht zu viel“, meinte Matthias ruhig, als sie schließlich vor dem Haus standen, in dem seine Eltern lebten. „Meine Eltern sind ganz anders als deine. Sie meinen es wahrscheinlich nicht einmal böse, wenn sie sich daneben benehmen. Wenn es zu schlimm wird, gehen wir sofort. Ansonsten denk daran, dass ich immer bei dir bin.“ Er beugte sich zu seinem Freund hinüber und presste dann den Finger entschlossen auf die Klingel.

„Matthias….kommt doch herein….“ Die Stimme seiner Mutter war kühl. Neugierig musterte sie den Mann an seiner Seite. Matthias hatte noch immer seinen Arm um Philipp geschlungen, um ihm ein wenig Sicherheit zu geben. „Sie müssen Philipp sein, nicht wahr?“ Immerhin hatte sie sich den Namen gemerkt, den Matthias ihr am Telefon gesagt hatte. Aber die Verärgerung, dass ihr Sohn die Pläne fürs Weihnachtsfest so kurzfristig umgeworfen hatte, war ihr noch immer anzumerken. Das distanzierte „Sie“ klang gleich viel kühler, als das freundliche „du“, mit dem Matthias in Philipps Familie begrüßt worden war. „Guten Tag, Frau Wittler“, sagte Philipp artig. Er streckte die Hand aus in die Richtung, in der er Matthias Mutter vermutete. Verwirrt griff sie zu und musterte den Begleiter ihres Sohnes. Erst jetzt nahm sie den Blindenstock in dessen linker Hand wahr. Das Entsetzen, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, war ein köstlicher Anblick, der Matthias unwillkürlich schmunzeln ließ.

„Wir gehen dann schon mal rein“, unterbrach Matthias das Schweigen, das sich ausgebreitet hatte. „Papa ist bestimmt im Wohnzimmer, oder?“ Ohne auf das Nicken seiner Mutter zu achten, führte er seinen Freund behutsam durch den Flur bis zum Wohnzimmer, wo sein Vater mit einer Zeitung in der Hand in seinem Sessel saß.  „Papa, darf ich dir Philipp vorstellen, meinen Freund?“ Matthias blieb stützend hinter seinem Freund stehen, als er den vor seinen Vater geführt hatte. Herr Wittler war unglücklich über die Homosexualität seines Sohnes, aber er hatte schließlich verstanden, dass er es nicht ändern konnte. So oft er es auch versuchte. Matthias war schwul und würde es bleiben. Dass er zum ersten Mal nun auch mit einem festen Freund konfrontiert wurde, machte das Wissen nur noch realer. „Guten Tag, Philipp“, begrüßte Matthias Vater den Besuch. Er stand auf und schüttelte Philipps Hand, während er im Türrahmen das bleiche Gesicht seiner Frau erblickte.

„Philipp ist blind, wie ihr inzwischen sicher bemerkt habt“, erklärte Matthias das Offensichtliche, „er kann eure entsetzten Mienen zum Glück nicht sehen. Aber ansonsten ist alles in Ordnung mit ihm und er ist der Mann, den ich liebe.“ Zum ersten Mal hatte er es laut ausgesprochen, was er für Philipp empfand, aber es war die Wahrheit. Vorsichtig führte er ihn zu dem gedeckten Esstisch und ließ seinen Freund erst los, als dieser die Hände sicher auf der Lehne des Stuhls hatte. „Bin gleich wieder da“, flüsterte er in Philipps Ohr und gab ihm einen hauchzarten Kuss auf die Lippen. „Kann ich dir helfen, Mama?“

Das Essen begann schweigend. Matthias achtete darauf, dass Philipp wusste, was in den Schüsseln war, die auf dem Tisch standen, und genau das bekam, was er haben wollte. Er berichtete seinen Eltern enthusiastisch von dem schönen Heiligabend, den sie in Philipps Familie gehabt hatten, und strahlte seinen Freund die ganze Zeit an. „Will er noch etwas Kartoffeln?“ Matthias Mutter sah ihren Sohn hilflos an, doch sein Vater verstand den wütenden Blick seines Sohnes und wandte sich direkt an Philipp. „Möchten Sie noch etwas, Kartoffeln oder Gemüse?“ Seltsamerweise war das Eis damit gebrochen und es kam sogar zu einer richtigen Unterhaltung.

„Überstanden! Schlimm aber gerade noch erträglich“, klassifizierte Matthias den Besuch bei seinen Eltern schließlich, als sie endlich wieder in Philipps Wohnung angekommen waren. „Du hast dich tapfer geschlagen und mit Sicherheit eine Belohnung verdient.“ Hart presste er seinen Mund auf die Lippen seines Freundes und hielt ihn an der Wand fest. Ohne die Lippen zu lösen, zerrte er an Philipps Hose und zog sie mit einem Schwung von den Hüften. Er ging auf die Knie und ließ seine Zunge um das wippende Glied gleiten, bevor er es mit einem Mal in seinem Mund aufnahm. Das überraschte Keuchen aus Philipps Mund spornte ihn nur noch mehr an. Mit den Händen knetete er die festen Pobacken und massierte die harten Kugeln, während er leckte, saugte und ihn immer tiefer in sich aufnahm. Es ging schnell. Viel zu schnell. Plötzlich stieß Philipp unerwartet zu und ergoss sich in einem Schwall in ihn. Matthias würgte ein bisschen, doch er schluckte tapfer alles, was sein Freund ihm geschenkt hatte. Er stand auf und nahm Philipp in den Arm, der mit weichen Knien am ganzen Körper zitterte. „Das….das war….wunderbar…“, stammelte er schließlich leise.
„Das war nur der Anfang“, flüsterte Matthias zärtlich, „wir haben noch die ganze Nacht….und unser ganzes Leben.“

 ENDE

 Und hier geht es morgen weiter
http://sandra-blacks-world.blogspot.de/?m=1 



Dienstag, 9. Juli 2013

11 Fragen - 11 Antworten

Nun hat es mich also auch "erwischt", ich wurde zu einem Bloginterview eingeladen von Karo Stein. Da ich die Interviews bei einigen anderen schon mit Interesse gelesen habe, werde ich mich gern auch den Fragen stellen. Auch wenn ich mir kaum vorstellen kann, dass es wirklich jemanden interessiert.

Hier sind die Regeln:

Als Dankeschön verlinkt man den einladenden Schreiberling, beantwortet die elf Fragen und denkt sich elf neue aus. Dann lädt man fünf Blogger zu dem neuen Interview ein, die weniger als 200 Follower haben.

So, verstanden habe ich das schon einmal. Hoffen wir mal, dass ich es auch umsetzen kann. Ich habe doch in technischen Dingen gern zwei linke Hände. Aber ich fange zumindest gern erst einmal mit der Beantwortung an:

1. Wer oder was motiviert dich zum Schreiben?

In erster Linie ich mich selbst, aber auch der Gedanke daran, dass Geschichten aus meiner Feder ein paar Menschen in den Weiten des Internets Spaß beim Lesen bereiten. Wenn die dann noch ihre Bemerkungen und Anregungen als Review dalassen, dann motiviert das noch zusätzlich.

2. Hattest du schon einmal eine Schreibblockade und wie bist du damit umgegangen?

Oh ja! Ganz schreckliches Gefühl, wenn man will, aber nicht kann! Ich merke immer in stressigen Zeiten, wenn der Kopf zu voll ist, dass mir auch das Schreiben schwerer fällt. Meist ist das einzige, was in dieser Situation hilft, eine Pause zu machen und mit ganz anderen Dingen den Kopf wieder frei zu bekommen.
Mit Macht etwas erzwingen zu wollen, geht meist schief. Zumindest bei mir.

3. Wie wichtig sind dir Rezensionen, Reviews, Kommentare und wie gehst du damit um, wenn sie negativ sind?

Sehr wichtig, wie ich schon bei der ersten Frage geschrieben habe. Sie sind, wenn man nur auf Fanfiktion.de veröffentlicht, der einzige "Lohn", den man für seine Arbeit erhält. (Wobei ich das Schreiben nicht als "Arbeit" verstehe. Es ist ein Hobby, das verdammt viel Spaß macht. Aber eben noch mehr, wenn man merkt, dass andere Leute daran Spaß haben.)
Ich freue mich natürlich sehr über Lob und Anregungen in den Kommentaren, aber genauso über Kritik.Wie im richtigen Leben steckt in den meisten kritischen Äußerungen doch auch ein Körnchen Wahrheit und ich versuche, mich damit auseinander zu setzen. Es gibt verschiedene Arten von Kritik - es kann um formale Dinge gehen (Struktur, Rechtschreibung,  aber auch Logikfehler) oder aber darum, dass Leser das Handeln meiner Charaktere nicht verstehen oder missbilligen. Erstere nehme ich sehr ernst und setze mich damit auseinander, bei den anderen versuche ich zwar, mich in den Kritiker hineinzuversetzen, kann aber am Ende schlimmstenfalls auch nur raten, mit dem Lesen aufzuhören. Geschmäcker sind nun einmal verschieden und was mir gefällt, muss anderen nicht gefallen. Darüber bin ich nicht böse.
Ich finde gerade Kritik sehr wichtig, denn es hilft mir für zukünftige Projekte, mich zu verbessern. Deshalb kann ich allen nur zurufen: Her mit eurer Kritik! (Wenn ihr mich zwischendurch auch mal ein bisschen streichelt, damit es nicht zu arg wird *smile*)

4. Hast du schon einmal an einem Projekt mit einem anderen Autor geschrieben? Wie habt ihr euch gefunden und wie lief die Zusammenarbeit?

Das einzige Projekt, an dem ich mit anderen zusammen gearbeitet habe, war der blogübergreifende Adventskalender. Doch dort hat jeder seine eigenen Geschichten eingebracht, es war also keine Zusammenarbeit im eigentlichen Sinne notwendig.
Ich wurde einmal gefragt, ob ich mir ein gemeinsames Projekt vorstellen könnte und warte nun gespannt, ob wir das irgendwann beginnen werden. Noch weiß ich nicht genau, ob es das Richtige für mich ist. Ich bin doch schon ein ziemlicher Eigenbrötler.

5. Welches Verhältnis hast du zu sozialen Netzwerken? Spornt es dich an, wenn andere ihre Erfolge zur Schau stellen, oder beginnst du, an dir selbst zu zweifeln?

Ein sehr gespaltenes! Klappern gehört zum Handwerk und wahrscheinlich kann man nur dann erfolgreich sein, wenn man sich auch entsprechend "vermarktet". Das konnte ich allerdings noch nie und werde ganz sicher nicht im fortgeschrittenen Alter damit anfangen. Ich gönne jedem seinen Erfolg, doch ich wünschte mir manchmal, nicht überschwemmt zu werden von x-mal geteilten Inhalten.
Ansporn oder Selbstzweifel? Beides. Ansporn, weil es zeigt, dass im Grunde jeder erfolgreich sein kann, aber auch Selbstzweifel, da mein eigener Anspruch an Bücher sehr hoch liegt und ich mir sicher bin, den nicht erfüllen zu können.

6. Gibt es ein Thema oder Genre, das du schon immer mal schreiben wolltest, aber dich bisher nicht getraut hast? Wenn ja, warum nicht?

Hmm. Eigentlich nicht. Ich habe auf Fanfiktion.de einmal begonnen, an der 120-Challenge teilzunehmen. Dort schwebte mir vor, über alle Arten von Liebe zu schreiben. Allerdings bin ich dort leider in den Anfängen steckengeblieben. Vielleicht auch, weil es mir schwerfiel, mich in bestimmte Situationen einzufühlen. Denn das ist für mich wichtig, um eine Geschichte glaubhaft schreiben zu können.

7. Plotbunnys sind gefährliche kleine Monster. Was machst du, wenn dich mehrere gleichzeitig überfallen? (Einsperren und nacheinander abarbeiten oder kannst du an mehreren Projekten gleichzeitig schreiben?)

 Allzu häufig hatte ich es bisher nicht, dass mich mehrere der lästigen Tierchen gleichzeitig überfallen. Wenn, dann neige ich schon dazu, mehrere Sachen gleichzeitig zu machen. Bei meinen gegenwärtigen Geschichten "Licht am Ende des Tunnels" und "Ein Traum wird wahr" war genau das der Fall. Beide Protagonisten forderten ihr Recht. Das geht im Moment zwar leider zu Lasten der anderen offenen Stories (zu viele offene Baustellen kann ich dann auch nicht zur gleichen Zeit bearbeiten), mach aber ungemeinen Spaß, weil es sehr unterschiedliche Geschichten sind, in die ich abwechselnd eintauchen kann.

8. Gehörst du auch zu denen, die immer und überall Block und Stift zur Hand haben, damit sie jede Idee sofort aufschreiben können?

Nein, Block und Stift gehört eigentlich gar nicht zu meinem Repertoire. Ich vertraue da im Allgemeinen auf mein Gedächtnis. Wenn es eine gute Idee ist, wird sie zu gegebener Zeit wiederkommen.
Mein "Brainstorming" findet oft abends vor dem Einschlafen statt. Da durchdenke ich bestimmte Szenen so oft bis ich dazukomme, sie irgendwann auch einmal in einer Geschichte einzubauen.

9. Magst du Herausforderungen, sprich vollkommen unbekannte Themen oder schwierige Charaktere?

Die größte Herausforderung für mich ist es jedes Mal wieder, halbwegs plausible Sexszenen zu schreiben, die nicht jedes Mal gleich oder vollkommen platt klingen.
Schreiben ist für mich ein Hobby im Ausgleich zu einem Vollzeitjob und Familie. Deshalb bin ich für eine weitreichende Recherche meist viel zu faul. Vielleicht widme ich mich zeitintensivem Neuland erst dann, wenn ich in Rente bin.
Schwierige Charaktere mag ich schon. Doch leider kommt mir meist mein eigenes Harmoniebedürfnis in die Quere, das selbst die unbeugsamsten Protagonisten irgendwann zu Lämmchen werden lässt.

10. Liest du gern in dem Bereich, in dem du auch schreibst, oder lenkt dich das zu sehr ab?

Ich lese zu meinem eigenen Bedauern momentan fast nichts anderes. Vieles sauge ich dann auf als Anregung für meine eigenen Werke. (Nein, ich kopiere nichts, aber gerade in den herausfordernden Szenen (siehe oben) bin ich für Beispiele dankbar.....Um dann am Ende doch wieder bei meinem eingefahrenen Stil zu bleiben.)
Im Grunde lese ich neben Slash auch "normale" Romanzen und Krimis, Fantasy ist nicht so meins. Dafür aber in Deutsch oder Englisch.

11. Nimmst du auch mal eine Auszeit vom Schreiben, z.B. im Urlaub oder am Wochenende oder wenn eine Geschichte abgeschlossen ist?

Bewusst eigentlich nicht, aber ich mache es inzwischen immer dann, wenn ich merke, dass Schreiben mehr Last als Lust ist. Das kann am Stress im realen Leben liegen, egal ob positiv oder negativ. Aber unter Druck geht gar nichts. Ich habe eine Weile gebraucht, um das für mich zu erkennen und dann bewusst ein paar Tage  Pause zu machen.
Die schlimmste Pause ist allerdings die, wenn eine Geschichte abgeschlossen ist und die Ideen für etwas Neues fehlen!


Es hat wirklich Spaß gemacht, diese Fragen zu beantworten. Zum ersten Mal fühle ich mich wie ein wirklicher Schreiberling!

Was wären die Fragen, die mich interessierten (wenn ich denn jemanden wüsste, an den ich sie weiterleiten könnte):

1. Wie bist du zum Schreiben gekommen?
2. Ist Schreiben nur ein Hobby für dich oder auch eine Möglichkeit, Geld zu verdienen?
3. Wie wichtig ist dir, deine Geschichten auch als Buch zu veröffentlichen?
4. Schreibst du unter einem Pseudonym? Wenn ja, warum?
5. Hast du beim Schreiben eine bestimmte Zielgruppe an Lesern im Auge?
6. Wie bewertest du deinen "Freundeskreis", der sich um dich in sozialen Netzwerken gebildet hat? Ist es dir wichtig, diese Leute auch einmal im realen Leben kennenzulernen?
7 In welchen sozialen Netzwerken bist du aktiv und warum?
8. Gehst du mit deiner Leidenschaft zu schreiben in deinem realen Leben offensiv um? Wie stehen deine Familie und deine Freunde dazu? Gehören sie zu deinen größten Fans?
9. Bedeutet eine öffentliche Rezension deines Buches dir mehr als ein Review beim Veröffentlichen einer Story auf freien Internetportalen?
10. Hast du es schon einmal erlebt, dass durch einen Computerabsturz größere Teile einer Geschichte im Daten-Nirwana verschollen sind? Wie bist du damit umgegangen? Wie ist dein Gefühl beim Neuschreiben, ist es besser/schlechter/gleich geworden?
11. Hast du Angst, dass dir irgendwann einmal die Ideen ausgehen? Zu welchem Hobby würdest du dann wechseln?

Vielleicht hat ja einer derjenigen, die das hier lesen, Lust, auch meine Fragen zu beantworten. Ich würde mich zumindest freuen.

Karo, dir vielen Dank für deine Einladung. Es hat Spaß gemacht.

Truly