© Janine Sander
Heute (schon seit zwei Stunden, auch wenn das System bei mir noch den 30.11. vorgibt "dank" Pazifischer Normalzeit) geht es bei mir los mit dem diesjährigen blogübergreifenden Adventskalender. Ich hoffe, wir haben wieder alle so viel Spaß wie im letzten Jahr. Ich danke Karo, dass sie mal wieder die Organisation in die Hand genommen hat, und wünsche euch allen einen schönen 1.Advent.
Zimsterne und Mandelplätzchen
Drei Tage vor Weihnachten herrschte geschäftiges Treiben in
der Fußgängerzone. Vor zwei Stunden hatte ein dichtes Schneetreiben begonnen
und inzwischen war die Straße schon mit einer Schneeschicht bedeckt.
Weihnachtsklänge aus den Geschäften mischten sich mit dem lauten
Klopfgeräuschen der nahen U-Bahn-Baustelle. Es war erstaunlich, dass dort trotz
des Wetters noch immer weiter gearbeitet wurde.
Matthias stapfte mit den Händen in den Hosentaschen und
gesenktem Kopf durch die Gasse. Er schlängelte sich durch die Menschenmenge.
Diese Zeit des Jahres war die schrecklichste. Mit Grauen dachte er schon daran,
am Heiligabend wie jedes Jahr am Tisch der Familie sitzen und sich die
Vorhaltungen anhören zu müssen. „Bist du wirklich sicher, dass du schwul bist?
Willst du es nicht mal mit einem Mädchen versuchen? Alina ist so ein nettes
Mädchen und sie mag dich.“ Wie oft hatte er sich diese Dinge schon anhören zu
müssen? Im Laufe des Abends wandte sich das Blatt dann zwar meist und die
Fragen gingen dann eher in die Richtung. „Warum hast du dann nicht wenigstens
einen Freund? Wir haben noch nie einen Freund von dir kennengelernt.“ Bisher
hatte es noch nie jemanden in seinem Leben gegeben, den er seinen Eltern hatte
vorstellen wollen. Seine längste Beziehung hatte einen Sommer gedauert. Wenn er
seinem Bruder Glauben schenken konnte, war es gut so, dass er Konstantin in den
Wind geschossen hatte, auch wenn er sich selbst die letzten Wochen sehr einsam
gefühlt hatte.
Mit schnellem Schritt bog er um die Ecke. Er wollte endlich
nach Hause und dem ungemütlichem Wetter entfliehen. Doch weit kam er nicht.
Sein Schwung endete abrupt, als er mit jemandem zusammenstieß. Matthias kam ins
Straucheln, aber der Mann, mit dem er zusammengestoßen war, rutschte aus und
stürzte. Dabei fiel ihm eine Einkaufstüte aus der Hand und allerlei Zeug
verteilte sich auf dem Bürgersteig.
„Sorry“, entschuldigte sich Matthias sofort, „meine Schuld.
Ich habe nicht aufgepasst.“ Er stand auf und suchte die verstreuten Einkäufe
zusammen, um sie wieder in die Tüte zu stopfen. Der Mann kniete noch auf dem
Boden und tastete im Schnee herum. Erst jetzt sah Matthias den Blindenstock,
der ihm aus der Hand gerutscht war. Mist! „Es tut mir so leid“, sagte er, in
dem er den Stock an die Hand des Mannes schob und ihm half aufzustehen. Der
Anblick raubte ihm den Atem. Der Kerl sah einfach toll aus. Er schätzte ihn auf
Mitte Zwanzig, also in seinem Alter. Blonde lockige Haare waren mit
Schneeflocken besetzt. Die blauen Augen blickten an ihm vorbei, auch wenn er
sich langsam zu fangen schien. Er fummelte an seinem Blindenstock herum, bis er
ihn wieder fest in der Hand hielt. Irgendwie hatte sich dieser Klappstock wohl
verdreht und er brauchte einen Moment, bis er so war wie er ihn haben wollte. „Wo
ist meine Tüte?“ fragte er. Eine Stimme wie Samt. Matthias klappte den Mund auf
und zu. Er brauchte einen Moment, bis er seine Stimme wiederfand. Wenn es Liebe
auf den ersten Blick gab, dann musste es so geschehen und er war hoffnungslos
verloren. „Äh….hier…..“, stammelte er und reichte ihm die Griffe des Beutels in
die Hand. Als sich ihre Hände berührten, ging ein Elektrostoß durch Matthias
Körper. Er errötete und schnappte nach Luft. Dann fing er sich wieder und
streckte die Hand aus. „Ich….ich bin Matthias. Tut mir echt leid. Kann ich dich
zur Entschuldigung auf einen Kaffee einladen?“
„Schon in Ordnung“, meinte die Samtstimme, „ist ja nichts
weiter passiert.“
Matthias zog seine Hand wieder zurück. Der Typ war blind.
Natürlich konnte er ihm nicht einfach die Hand reichen. Aber er konnte ihn
jetzt nicht einfach gehen lassen. „Zum Glück ist nichts passiert. Aber einen
Kaffee ist es schon wert. Oder ein Bier, wenn du das lieber hast, oder was
anderes.“
Samtstimme lächelte….und sah einfach umwerfend aus dabei.
„Ich hab keine Zeit, aber danke für das Angebot. Mach dir keinen Kopf. Mir geht
es gut.“
Er klappte den Stock wieder aus und ging weiter. Matthias
blieb einen Augenblick stehen und schaute ihm nach. Bewundernd blickte er ihm
nach, wie er mit festen Schritten seinen Weg machte. Ohne groß nachzudenken,
folgte er ihm mit einigen Metern Abstand. Der Typ war wie ein Magnet, der ihn
anzog. Vollkommen verrückt, denn er kannte den Mann doch gar nicht.
Zielsicher steuerte der Unbekannte eine der Buden an, die am
Beginn des Weihnachtsmarktes auf dem Marktplatz standen. Wenn man nicht auf das
gedämpfte Klacken des Stockes auf dem schneebedeckten Boden achtete, konnte man
kaum glauben, dass der Mann nicht sehen konnte. Aber das war zumindest sicher.
Kurz bevor er den Tresen der Bude erreicht hatte, kam plötzlich ein kleiner
Junge zwischen den Buden hervor und rannte genau in den Mann rein. Es war wie
ein Déjà-vu. Für Matthias als stillen Beobachter ebenso wie für den unbekannten
Mann.
Mit wenigen Schritten war Matthias neben ihm und sammelte
nun schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ein paar Orangen aus dem
Schnee. „Ist wohl nicht dein Tag, was?“
„Du schon wieder? Verfolgst du mich?“ Die Samtstimme klang
plötzlich ein wenig ungehalten. Dabei hatte er nicht einmal unrecht. Matthias
zögerte einen Moment und überlegte, was er sagen sollte, dann entschied er sich
für eine Ausflucht. „Anscheinend brauchst du heute einen Schutzengel.“
„Philly, ist dir etwas passiert?“ Eine junge Frau mit einer
weißen Schürze kam plötzlich hinzu und stürzte sich in die Arme des
Unbekannten. „Ich habe es genau gesehen. Das war der ungezogene Bengel von der
Wurstbude. Kein Wunder, dass er sofort wieder abgehauen ist. Geht es dir
gut?“ Matthias blieb stehen und sah zu,
wie „Philly“ sich unwirsch losriss. „Alles in Ordnung. Ich bin nicht aus
Zucker. Was wollt ihr bloß alle von mir. Ich kann allein auf mich aufpassen.
Begreift das endlich.“
Matthias trat zwischen die beiden Streithähne, als er das
fragende Gesicht der Frau sah. „Mit „ihr“ meint er wohl mich“, erklärte er und
streckte die Hand aus. „Ich bin Matthias und habe deinen Freund vor ein paar
Minuten auch schon einmal umgerannt.“
Mit einem Lächeln ergriff sie die angebotene Hand. „Mein Bruder“,
erläuterte sie. „Eigentlich ist Philipp ganz verträglich. Nur wenn er meint,
dass man ihn bevormunden will, wird er zum Biest.“ „Ich
bin hier. Schon vergessen?“ Die samtige Stimme sandte erneut einen Schauer
durch Matthias Körper, auch wenn sie im Moment ziemlich wütend klang. „Siehst
du. Er zickt schon wieder rum, obwohl wir gar nichts gemacht haben.“ Das
Mädchen lachte. „Ich heiße Betty. Also eigentlich Bettina, aber das finde ich
schrecklich. Wie gesagt, lass dich von Phils Bärbeißigkeit nicht abschrecken.
Er ist eigentlich ganz lieb.“ Zornig drückte Philipp seiner Schwester den
Beutel in die Hand und drehte sich um zum Gehen. „Hier hast du dein Zeug, was
du unbedingt haben wolltest.“
„Philipp Weinert, du bleibst jetzt hier“, befahl Betty
resolut. „Du trinkst jetzt einen Glühwein bei mir und dann bringe ich dich nach
Hause. Es war eine blöde Idee von mir, dich ausgerechnet bei dem Wetter um
Hilfe zu bitten.“ Sie drehte sich zu Matthias um. „Du bist auch eingeladen.
Glühwein mit oder ohne Schuss. Schmeckt lecker.“
Kurze Zeit später stützte sich Matthias auf dem Tresen des
Glühweinstandes ab und nippte an dem heißen Getränk. Süß und süffig. Es
schmeckte nach mehr. Betty quasselte die ganze Zeit, aber Matthias
Aufmerksamkeit galt allein ihrem Bruder, der neben ihm lehnte und seine Hände
um den heißen Becher geschlossen hielt. Philipps Gesicht wirkte immer noch
grimmig, aber er hatte nicht gewagt, sich gegen seine Schwester aufzulehnen.
„Schmeckt’s?“, fragte Betty ihn direkt, doch Matthias
brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass er der Adressat der Worte war.
Er nickte und zwang sich, seinen Blick von Philipp zu seiner Schwester wandern
zu lassen. „Sehr lecker, wie versprochen“, gab er zu. „Ich habe in diesem Jahr
noch gar keinen Glühwein hier getrunken. Ein echtes Versäumnis, vor allem wenn
es so nette Verkäuferinnen gibt.“ Betty lachte. Außenstehende konnten seine
Worte sicher als Flirt auffassen, aber seltsamerweise war sich Matthias
ziemlich sicher, dass Betty ihn verstand. Ihr Blick schwankte wissend zwischen
ihrem Bruder und ihm hin und her. Matthias wartete nun nur auf ein Zeichen, ob
Philipp wirklich am selben Ufer fischte wie er. Irgendetwas an dem Blinden zog
ihn magisch an. Er konnte sich nicht dagegen wehren und verdrängte deshalb alle
Gedanken daran, ob er sich wirklich auf jemanden einlassen wollte, der nicht
sehen konnte.
Es dämmerte und immer mehr Lichter erleuchteten den Platz,
der sich langsam füllte. Auch das dichte Schneetreiben hielt die Menschen nicht
vom Besuch des Weihnachtsmarktes ab. Die Schlange an Bettys Stand wurde immer
länger und sie hatte gut zu tun. Matthias fasste Philipp an den Arm und schob
ihn ein wenig weiter an den Rand. „Es wird immer voller“, erklärte er
entschuldigend, als der andere Mann sich ruppig befreien wollte. „Hier sind wir
noch geschützt, stehen aber nicht im Weg.“
Philipp nickte. Geredet hatte er in
den letzten Minuten kaum, den Großteil der Unterhaltung hatte seine Schwester
bestritten, aber Matthias hatte ihn die meiste Zeit beobachtet und an seinen
Gesichtsausdrücken beobachten können, was er von dem Geplapper seiner Schwester
hielt. Es war ungemütlich und kalt. Scharfer Wind trieb die Schneeflocken über
den Platz und auch wenn sie von der Überdachung des Standes ein wenig geschützt
waren, spürte Matthias, wie die Kälte langsam in seinen Körper kroch. Da half
auch der heiße Glühwein nur bedingt. „Was hältst du davon, wenn ich dich nach
Hause begleite“, fragte Matthias nach einer Weile des Schweigens. „Betty ist im
Moment schwer beschäftigt und es wird langsam ziemlich kalt.“ Philipp ließ
seine Hände tastend über den Rand des Tresens bis zum Ende des Standes gleiten.
Dann wandte er sich dem Ort zu, wo er Matthias vermutete. „Ich kann sehr wohl
auch allein nach Hause gehen“, sagte er bestimmt. „Das glaube ich dir sofort“,
entgegnete Matthias schnell, „aber deine Schwester fühlt sich einfach besser,
wenn du es nicht musst, und ich habe wahrscheinlich sowieso den gleichen Weg.“
Er hatte keine Ahnung, wo
Philipp hinmusste, aber das war ihm egal. Wenn er
dafür erfuhr, wo er wohnte, konnte er sich überlegen, wie er ihm weiter
begegnen konnte. „So, woher weißt du das? Bist du allwissend?“
Philipp war noch
immer schnippisch und wütend, aber dann ergab er sich seinem Schicksal. „Wenn
es dich befriedigt, kannst du den Krüppel nach Hause begleiten. Dann sind alle
zufrieden.“ Betty hatte nur die letzten Worte ihres Bruders gehört und nickte
Matthias eifrig zu, bevor sie ihren Bruder wütend anfunkelte. „Wir wissen, dass
du alles allein kannst, kleiner Bruder. Aber Matthias ist so nett, dich bei
diesem beschissenen Wetter zu begleiten. Nicht weil du blind bist, sondern weil
er dich mag, du Trottel.“
Ungeduldige Rufe holten Betty wieder zur Arbeit zurück,
während Matthias ein wenig unsicher auf Philipp schaute. Er wusste nicht so
richtig, wie er sich verhalten sollte. Philipp hielt viel auf seine
Unabhängigkeit und Matthias wollte sich nicht noch unbeliebter machen als er eh
schon war. Der Typ, der ihn vom ersten Moment so unerklärlich fasziniert hatte,
klappte seinen Blindenstock wieder aus und hielt den Griff fest umklammert.
Dann drehte er sich um zum Gehen. „Wenn du deine gute Tat heute unbedingt an mir
ableisten willst, dann führst du mich aus dem Getümmel, ohne dass mich noch
einmal einer umrennt.“ Matthias ließ
sich nicht zweimal bitten. Er griff nach Philipps Arm und machte sich auf den
Weg. Der Boden war rutschig. Inzwischen war es auf dem Marktplatz recht voll
und er musste Schlangenlinien laufen, um aus dem Gewirr von Menschen
herauszukommen. Er vergaß, dass sein Begleiter nichts sehen konnte und wunderte
sich, dass Philipp ihm nicht automatisch folgte. Eine abrupte Bewegung ließ ihn
ausrutschen und Matthias griff beherzt zu. Ungefragt schlang er seinen Arm um
Philipps Hüfte und lenkte ihn gekonnt durch die Massen. Erst als sie den
Marktplatz verlassen hatten, ließ er Philipp wieder los. Viel lieber hätte er
ihn weiter im Arm gehalten, aber es erschien im unangemessen. „Hier ist es
nicht mehr so voll“, erklärte er, „du musst mir nun sagen, wo wir genau
hinmüssen.“
Überrascht nahm Matthias die Adresse zur Kenntnis. Das war
noch ein ganzes Stück entfernt. Er würde an seiner Wohnung vorbeilaufen müssen.
Schade eigentlich. Er fror schon jetzt. Aber dennoch würde er sein Versprechen
einlösen und Philipp bis nach Hause bringen. Eine Weile liefen sie schweigend
nebeneinander her. Das Geräusch des Stocks, der gleichmäßig auf den Boden
schlug, war der einzige Laut, der zu hören war. Matthias versteckte seine Hände
wieder in der Jackentasche und überlegte nach den richtigen Worten für ein
Gespräch.
„Warst du schon immer blind?“, unterbrach er die Stille.
Einen Augenblick fürchtete er, dass seine Frage die Stimmung zwischen ihnen
noch weiter verschlechtert hatte, doch dann antwortete Philipp mit einem Mal
mit ruhiger Stimme. „Nein. Es war ein Unfall, als ich sechzehn war. Was haben
wir heute, den 21.Dezember? Dann sind es acht Jahre und 362 Tage.“ Matthias
brauchte einen Moment, um diese Information zu verarbeiten. „Aber….das heißt
ja…….“ Er brach ab, weil er das Unfassbare nicht noch in Worte kleiden wollte.
„…das heißt, dass der Unfall an Heiligabend war“, vollendete Philipp seinen
Satz, „das ist wahr.“ Er lachte kurz auf, aber es war kein fröhliches Lachen.
„Gemeinerweise noch vor der Bescherung und hinterher hatte ich für die
Playstation keine Verwendung mehr.“ „Scheiße!“ „Kann man wohl sagen: Große
Scheiße!“ Matthias blickte zur Seite und sah das schimmernde Glitzern in den
toten Augen des anderen Mannes. „Es tut mir leid…“ Die Worte waren aus seinem
Mund gekommen, bevor er nachdenken konnte. „Und mir erst!“ Philipp schluckte
die aufkommenden Tränen tapfer hinunter und lief weiter. Matthias griff stumm
nach Philipps Hand und drückte sie. Es erschien ihm wichtig, Trost zu spenden,
wofür es keine Worte gab.
Beinahe wären sie an dem Haus vorbeigelaufen, in dem Philipp
wohnte. „Halt! Wir sind schon hier“, rief Matthias plötzlich und stoppte. Er
führte seinen Begleiter zur Haustür und löste ihre Verbindung nur ungern. Sie
standen beide vor dem Haus und traten unsicher von einem Fuß auf den anderen.
Irgendwie hatte sich die Situation zwischen ihnen verändert. „Danke“, sagte
Philipp leise. „Du bist jetzt ziemlich weit von deinem Zuhause entfernt, nicht
wahr?“ Er lächelte verschmitzt. „Ich bin zwar blind, aber ich habe bemerkt, wie
du im Beckerweg recht lange zur Seite geschaut hast. Deshalb vermute ich mal,
dass du da hinmusstest. Stimmt’s?“ Wahnsinn! Matthias war sich noch nicht
einmal bewusst, dass er weggeschaut hatte. Er nickte sprachlos, bis ihm
einfiel, dass Philipp seine Antwort so nicht mitbekommen konnte. „Ja, stimmt“,
wiederholte er deshalb noch einmal mit Worten. Philipp holte seinen Schlüssel
aus der Jacke und spielte einen Moment verlegen mit ihm. „Willst du noch mit
reinkommen?“, fragte er leise, „ich müsste sogar noch ein paar Flaschen von
Bettys Glühwein dahaben, wenn du willst… oder Kaffee… oder Cola….“ Ein breites
Grinsen schlich sich auf Matthias Gesicht. „Gern. Ich nehme aber lieber Kaffee.
Der Alkohol reicht für heute. Sonst fange ich nachher noch an zu singen.“
Philipp schloss die Tür des zweistöckigen Hauses auf und
ging voran. Mit festem Schritt ging er auf die Treppe zu, während Matthias erst
einmal nach dem Lichtschalter suchte. „Sorry, das vergesse ich immer“, meinte
Philipp entschuldigend. Er schloss die Tür zu seiner Wohnung auf und tastete
nach dem Schalter. Das Licht im Flur ging an. Interessiert schaute Matthias
sich um. „Geh schon mal voraus ins Wohnzimmer. Geradeaus. Ich setze schnell
Kaffee auf und komme dann nach.“ Er legte seinen Stock zusammengeklappt auf die
Flurgarderobe, hängte seine Jacke an und ging in die dunkle Küche. Fasziniert
sah Matthias ihm nach, bevor er sich auf den beschriebenen Weg machte. Im
Wohnzimmer betätigte er den Lichtschalter vergeblich, es blieb dunkel. „Du
musst die Stehlampe in der Ecke anmachen. Die Birne an der Decke ist schon eine
ganze Weile kaputt. Ich vergesse das immer wieder, weil ich sie nicht brauche. Sorry!“
Als Matthias den Schalter des Deckenstrahlers betätigte, sah er ein nicht
besonders großes, aber gemütlich eingerichtetes Zimmer. Eine Ecke war mit einem
Schreibtisch samt Computer und Drucker besetzt, in der anderen stand ein
Dreisitzer mit zwei Kissen und einer ordentlich zusammengefalteten Decke,
direkt gegenüber von einem riesigen Flachbildschirm. Ein ganz normales
Wohnzimmer halt, wenn man davon absah, dass es extrem aufgeräumt wirkte und
damit im krassen Gegensatz zu seiner eigenen Bude war. Matthias sah sich die
CDs im Regal an. Sie waren alphabetisch geordnet. Als er eine in die Hand nahm,
sah er den seltsamen Aufkleber in Blindenschrift, der es auch Philipp
ermöglichte, den Titel zu lesen.
„Milch und Zucker?“, fragte Philipp, der mit einem Tablett
in den Händen ins Zimmer kam, das er auf dem niedrigen Couchtisch abstellte.
„Der Kaffee dauert noch einen Moment. Ich habe auch ein paar Kekse.“ Er
lauschte einen Augenblick und lächelte dann in Matthias Richtung. „Hast du
etwas gefunden, was du hören magst? Bedien dich. Du siehst ja den CD-Player.“
Dann setzte er sich hin und nahm einen Keks von dem Teller, der vor ihm stand.
„Wie machst du das?“, erkundigte sich Matthias neugierig,
„ich meine, woher weißt du, wo ich bin. Obwohl du mich nicht sehen kannst?“
Allein das Lächeln, das auf Philipps Gesicht erschien, machte ihn noch
begehrenswerter. Es war offensichtlich, dass er sich in seiner eigenen Wohnung sicher und geborgen fühlte. „Man sagt immer,
dass die anderen Sinne sich besser ausprägen, wenn einer nicht mehr
funktioniert“, meinte er. „Scheint zu stimmen. Am Brechen des Schalls kann ich
Entfernungen schätzen. Aber das klingt viel zu theoretisch. Ich weiß es
einfach. Keine Ahnung woher.“
Matthias ging hinüber zu Philipp und setzte sich neben ihn
auf die Couch. Sein Magen knurrte laut. Die Chocolate Chip Cookies sahen zwar
lecker aus, aber sein Körper verlangte nach etwas Herzhaftem. „Was hältst du
davon, etwas zu bestellen?“, fragte er ein wenig unsicher. Die Einladung zum
Kaffee bedeutete nicht unbedingt, dass Philipp ihn länger in seiner Nähe
duldete. „Pizza oder so? Ich lade dich ein. Du hast sowieso noch etwas bei mir gut. Habe ich
schließlich versprochen.“ „Okay, wenn du willst“, stimmte Philipp ohne
Widerspruch zu, „musst du aber nicht. Ich habe bestimmt auch noch irgendwas in
der Tiefkühltruhe. Doch wahrscheinlich lässt du mich eh nicht in Ruhe, bevor du
mir etwas spendiert hast, oder?“
Während Philipp den Kaffee aus der Küche holte und sich
selbst Milch und Zucker unterrührte, rief Matthias beim Pizzaservice an, dessen
Nummer er glücklicherweise im Handy gespeichert hatte. Fünfundvierzig Minuten
hatte er nun Zeit, den Mann, der ihn sofort fasziniert hatte, besser
kennenzulernen. Da Philipp es ihm erlaubt hatte, holte er eine CD, die ihm
gefiel, aus dem Regal und legte sie in den Player ein. Ihr Musikgeschmack
ähnelte sich anscheinend sehr. Eher unüblich für Leute Mitte Zwanzig.
Leise Bluestöne erklangen durch die Surroundlautsprecher und
hüllten den Raum in einen vollen Klang. „Eine meiner absoluten Lieblinge“,
erklärte Philipp überrascht. „Ich kenne nicht viele, die das auch mögen.“ Mit
Musik hatten sie ein Thema gefunden, über das sie sich austauschen konnten. Die
Zeit verging wie im Fluge und erstaunt hörten sie die Türklingel, die ihre
Pizzalieferung ankündigte. Während Matthias den Boten empfing, holte Philipp
Geschirr und Besteck aus der Küche sowie eine Flasche eisgekühlter Cola. Vertraut
wie zwei alte Freunde saßen sie zusammen und aßen Pizza. Sie lachten und
unterhielten sich. Matthias ließ Philipp erzählen, der immer lockerer wurde und
Dinge aus der Vergangenheit erzählte, ohne dass Matthias groß nachbohren
musste. Matthias liebte den samtigen Klang der Stimme und konnte ihm
stundenlang zuhören. Nach dem Essen hatte er die Lampe ausgemacht. Nur noch der
dunkle Schein der Straßenlaterne brachte etwas Licht ins Zimmer. Seine Augen
gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit, aber er wollte sich gar nicht
vorstellen, was permanente Dunkelheit für einen Menschen zu bedeuten hatte.
„Ich hole noch eine Cola“, erklärte Philipp, als er den
letzten Tropfen in sein Glas gegossen hatte, „du bleibst doch noch einen
Moment, oder?“ Hatte er sich getäuscht, oder hatte die Stimme bittend
geklungen? Es war schon recht spät geworden, aber Matthias hatte am nächsten
Morgen nicht viel vor und konnte ausschlafen. Nichts trieb ihn momentan nach
Hause in seine einsame Wohnung. Auch wenn er nicht wusste, was das hier war,
aber es fühlte sich gut an. „Solange du mich nicht rauswirfst, bleibe ich gern
noch“, antwortete er leise. Glücklicherweise konnte Philipp nicht sehen, dass
sein Gesicht gerade knallrot war, denn in Windeseile waren Gedanken durch
seinen Kopf gerast, die alles andere als jugendfrei waren. „Du kannst bleiben,
solange du willst“, rief Philipp aus der Küche, bevor er wieder zurück ins
Zimmer kam und sich neben ihn auf die Couch setzte. „Es macht Spaß, wenn man
abends nicht allein sein muss.“
Matthias hatte ein Bein auf die Sitzfläche gezogen und sich
ein wenig gedreht, um Philipp besser beobachten zu können. Gegen das helle
Fenster zeichnete sich die Silhouette ab und es kostete Matthias große
Überwindung, seine Hand nicht auszustrecken und mit den Fingern durch die
wilden Locken zu streichen. Seine Fußspitze berührte Philipps Schenkel und er
widerstand der Versuchung, mit den Zehenspitzen die Seite entlang zu fahren.
Hastig zuckte der andere Mann ein Stück weg und Matthias fühlte sich ertappt.
„Willst du noch einen Keks?“, fragte Philipp plötzlich, „wenn du
Schokoladenkekse nicht magst, habe ich auch noch ein paar selbstgebackene
Zimtsterne da.“ Er stand auf und wollte in die Küche gehen, doch Matthias hielt
ihn an der Hand zurück. Er sprang auf und sammelte seinen ganzen Mut zusammen.
Die Dunkelheit half ihm, seine Zweifel auszublenden und einfach zu tun, wonach
er sich schon seit Stunden sehnte. Vorsichtig legte er seine Hände in Philipps
Nacken und presste seinen Mund sanft auf die verführerischen Lippen des anderen
Mannes. Dieser verspannte zunächst und zuckte zurück, doch dann erwiderte er
den Kuss mit der gleichen Sehnsucht. Philipps Hände krallten sich in Matthias
Seite und er vertiefte den Kuss, indem seine Zunge Einlass begehrte in die
unbekannte Höhle. Aus einer sanften Berührung der Lippen wurde ein
leidenschaftlicher Kuss, der beiden die letzte Luft raubte. Atemlos trennten
sich schließlich ihre Münder, doch ihre Körper waren noch immer aneinander gepresst
und zeigten dem anderen mehr als deutlich, was für eine Situation das war. „Du
weißt aber schon, was du hier machst, hoffe ich“, flüsterte Philipp atemlos,
„ich will nicht, dass man mich mit Samthandschuhen anfasst, aber ich will auch
nicht ausgenutzt werden.“
Stumm nahm Matthias ihn an die Hand und setzte sich wieder
mit Philipp auf die Couch. Bevor er zu reden begann, beugte er sich nach unten
und drehte das Licht wieder auf. Bei dem, was er sagen wollte, musste er die
Reaktionen des anderen sehen können. „Ich weiß sehr wohl, was ich tue. Mit
jeder Minute, die ich länger in deiner Nähe war, wollte ich es mehr. Ich kann
dir hier und jetzt nicht versprechen, dass wir glücklich bis ans Ende unserer
Tage zusammen leben werden, aber du hast mich vom ersten Augenblick an
fasziniert und ich wollte dich unbedingt näher kennenlernen. Bisher habe ich
„Liebe auf den ersten Blick“ immer für Schwachsinn gehalten, aber ich habe auch
noch nie eine so tiefe Verbindung gespürt, wenn ich jemanden zum ersten Mal
gesehen habe.“ Philipps Mund öffnete sich zu einer Entgegnung, aber Matthias
verschloss sie sogleich mit einem Kuss. „Vielleicht war es einfach Schicksal,
das uns hat zusammenstoßen lassen.“
„Woher wusstest du überhaupt, dass ich……“, begann Philipp,
nachdem sie sich nach einem langen zärtlichen Kuss wieder getrennt haben,
„woher wusstet du, dass ich schwul bin?“ Matthias zuckte lächelnd mit den
Schultern. „Ich hatte es vielleicht am Anfang nur gehofft. Wirklich gewusst
habe ich es erst, als du mir keine Ohrfeige gegeben hast, als ich dich geküsst
habe.“ Unbewusst hatten sie das Thema etwaiger Partner aus ihrem Gespräch
gelassen. „Eigentlich hättest du die so oder so verdient“, neckte Philipp ihn,
„einen armen Blinden einfach so zu überfallen.“ Ehe Matthias sich jedoch
verteidigen konnte, hatte Philipp ihn wieder an sich herangezogen und geküsst.
„Darf ich dich einmal……ansehen?“, fragte Philipp nach einer
Weile leise. Matthias verstand sofort, was sein Freund sagen wollte. Er nahm
dessen Hände und legte sie auf sein Gesicht. Sanft strichen Philipps
Fingerkuppen über die Konturen des Gesichts, ertasteten die Ohren und
wuschelten durch die Haare. „Du bist schön“, sagte er schließlich leise, „was
für eine Farbe haben deine Augen und dein Haar?“ Matthias entließ den angehaltenen
Atem und spürte dem wohligen Schauer nach, der sich bei Philipps Berührungen
über seinem ganzen Körper verteilt hatte. „Grün und so ein seltsames
Straßenköterblond“, gab er schließlich zu, „viel weniger schön als deine Augen-
und Haarfarbe.“
Philipp schüttelte nur den Kopf und führte seine Erkundung
voller Konzentration fort. Er schloss die Augen, als seine Hände an Matthias
Hals nach unten wanderten, über die Schultern und schließlich von unten unter
den Pullover flüchteten. „Warte!“, rief
Matthias heiser und zog sich den Pullover samt Unterhemd über den Kopf, um
seinen blanken Oberkörper darzubieten. Sein Brustkorb hob und senkte sich in
freudiger Erwartung der sanften Berührung, als er ein wenig näher rutschte. Ein
Keuchen entfuhr seinen Lippen, als Philipps Finger ihren Weg über die
Brustwarzen suchten. Unwillkürlich zog er den Bauch ein und ärgerte sich einmal
mehr über seine Trainingsfaulheit. Gern hätte er jetzt den perfekten Körper
präsentiert, aber er wusste ganz genau, dass ein paar Kilos zu viel seine
Rippen bedeckten. „Du bist schön!“, wiederholte Philipp dennoch. „Was willst du
nur von mir?“
Ohne weitere Worte zog Matthias seinen Freund in seine Arme
und streckte sich mit ihm auf der Couch aus. Er küsste ihn sanft auf die
Schläfe und lauschte dem gemeinsamen lauten Pochen ihrer Herzen. Alles erschien
plötzlich so einfach. Obwohl es noch viel zu bereden gab, reichte im Moment die
gegenseitige Berührung und Nähe aus, um ihn perfekt zu machen.
oooooooOOOOOOOooooooo
“Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Geh lieber
allein. Deine Eltern bekommen mit Sicherheit einen Schock, wenn sie mich
sehen.“ Philipp versuchte ein letztes Mal, seinen Freund von der Idee
abzubringen, ihn mit zum großen Weihnachtsessen bei seinen Eltern zu nehmen.
„Was ist, wenn ich irgendetwas kaputtmache oder umwerfe?“
„Es ist eine hervorragende Idee“, freute sich Matthias, „den
Schock haben sie schon bekommen, als ich mein Kommen für Heiligabend so
kurzfristig abgesagt habe, weil ich den Tag bei meinem Freund verbringen
wollte. Am ersten Feiertag geht es bei uns immer weniger steif zu als am Abend
zuvor. Ich bin doch bei dir und kann dir helfen. Außerdem werden sie dich
lieben. Man muss dich einfach lieben.“
Lächelnd krabbelte Matthias wieder näher an seinen Freund
heran. Unglaublich, dass Philipp und er sich erst drei Tage kannten. Es fühlte
sich nach viel länger an. Er war sein Vertrauter und Seelenverwandter. Wenn ihm
irgendjemand so einen Quatsch noch vor ein paar Tagen erzählt hätte, hätte
Matthias ihn ausgelacht. Bei der Frage, ob er sein Leben einmal an der Seite
eines Blinden verbringen wollte, hätte er wahrscheinlich auch vehement mit dem
Kopf geschüttelt. Aber mit Philipp war alles ganz anders. Dass er nicht sehen
konnte, machte Matthias nichts aus. Er ärgerte sich eher über sich selbst, weil
er oft nicht daran dachte und unbedacht etwas tat, was seinen Freund in
Probleme brachte. Aber das würde sich mit der Zeit einspielen, da war er
sicher. In seiner gewohnten Umgebung bewegte sich Philipp vollkommen sicher,
aber er konnte verstehen, dass er vor neuen Orten einen gehörigen Respekt
hatte.
„Wir bleiben nur solange wir müssen und dann belohne ich
dich“, versprach Matthias, indem er seinen Finger über den Schritt seines
Freundes gleiten ließ und erstaunt zur Kenntnis nahm, dass sich sofort etwas
regte. Außer stundenlangen Streicheleinheiten und ein paar gegenseitigen
Handjobs war noch nichts zwischen ihnen geschehen, aber zum ersten Mal war
Matthias mit einem Mann zusammen, bei dem sich seine Gedanken nicht nur darum
drehten, wie er ihn am schnellsten ins Bett bekommen konnte. Das heißt…ins Bett
hatte er ihn sehr schnell bekommen….
Ein wenig nervös war er vor dem Besuch bei seinen Eltern
auch. Aber das war er auch vor dem gestrigen Besuch bei Philipps Familie
gewesen. Nachdem Betty am Tag nach ihrem Kennenlernen mitbekommen hatte, dass
Matthias bei ihrem Bruder geschlafen hatte und die beiden nun mehr oder weniger
ein Paar waren, hatte sie laut gequietscht und darauf bestanden, dass Matthias
an Heiligabend mit zu den Weinerts kam. Sie hatte ihm keine Wahl gelassen und
schließlich hatte er lachend kapituliert.
Philipp hatte gestrahlt und ihm die ganze Zeit die Hand fast
zerquetscht, als sie sich auf den Weg gemacht hatten. Ein kleiner Zwischenstopp
in seiner Wohnung musste sein, um sich festlich umzuziehen, nachdem er zwei
Tage mit Philipps Klamotten herumgelaufen war. Es war ein Moment gewesen, wie
sie ihn wahrscheinlich noch viele erleben werden. Matthias hatte Philipp
einfach im Flur stehen lassen und ihm nur gesagt, er solle sich ins Wohnzimmer
setzen. Dann war er im Schlafzimmer verschwunden und hatte es draußen plötzlich
scheppern hören. Es war nur die Metallschale gewesen, in der er immer seine
Schlüssel ablegte. Als Philipp gegen die Kommode gelaufen war, war die Schale
zu Boden gefallen. Es war nichts passiert, aber sie hatten sich beide
erschreckt. „Mist! Tut mir leid“, sagte Matthias zerknirscht und verbat sich
Philipps Entschuldigungen, „versprich mir einfach, dass du etwas sagst, wenn
ich mich wieder so dämlich verhalte, ja?“ Er legte seinen Arm um Philipps
Taille und führte ihn behutsam ins Wohnzimmer zur Couch. „Bin gleich wieder
da.“ Er küsste ihn auf die Stirn und verschwand in seinem Zimmer zum Umziehen.
Nach kurzer Zeit waren sie wieder auf dem Weg zu Philipps Familie und nun war
es Matthias, den die Nervosität überkam.
Es war ein harmonisches Fest in einer Familie, in der man
die Liebe aller untereinander spürte. Die Wohnung war festlich geschmückt mit
vielen Lichtern. Es roch nach Orangen und Zimt. Auf dem Tisch stand ein großer
Teller mit selbstgebackenen Plätzchen. Zimtsterne und Mandelplätzchen, von
denen Matthias schon unzählige in den letzten Tagen bei seinem Freund gegessen
hatte. Matthias wurde mit offenen Armen im Kreis der Familie aufgenommen. Alle
freuten sich unbändig, dass Philipp einen Freund gefunden hatte. In den Stunden
lernte Matthias viel darüber, wie er seinen Freund unauffällig unterstützen
konnte. Natürlich musste er viel über sich erzählen. Das tat er gern, nur bei
den Fragen nach seiner Familie wich er aus. Erstaunt nahm er die Geschenke
entgegen, die Philipps Eltern und sogar Betty auf die Schnelle besorgt hatten.
Die neueste CD seines Lieblingskünstlers, die erst vor ein paar Tagen
herausgekommen war. Er selbst war fast ein wenig verschämt, dass er außer einer
Flasche Wein als Mitbringsel keine weiteren Geschenke hatte. Nicht einmal für
Philipp.
„Erwarte nicht zu viel“, meinte Matthias ruhig, als sie
schließlich vor dem Haus standen, in dem seine Eltern lebten. „Meine Eltern
sind ganz anders als deine. Sie meinen es wahrscheinlich nicht einmal böse,
wenn sie sich daneben benehmen. Wenn es zu schlimm wird, gehen wir sofort.
Ansonsten denk daran, dass ich immer bei dir bin.“ Er beugte sich zu seinem
Freund hinüber und presste dann den Finger entschlossen auf die Klingel.
„Matthias….kommt doch herein….“ Die Stimme seiner Mutter war
kühl. Neugierig musterte sie den Mann an seiner Seite. Matthias hatte noch
immer seinen Arm um Philipp geschlungen, um ihm ein wenig Sicherheit zu geben.
„Sie müssen Philipp sein, nicht wahr?“ Immerhin hatte sie sich den Namen
gemerkt, den Matthias ihr am Telefon gesagt hatte. Aber die Verärgerung, dass
ihr Sohn die Pläne fürs Weihnachtsfest so kurzfristig umgeworfen hatte, war ihr
noch immer anzumerken. Das distanzierte „Sie“ klang gleich viel kühler, als das
freundliche „du“, mit dem Matthias in Philipps Familie begrüßt worden war.
„Guten Tag, Frau Wittler“, sagte Philipp artig. Er streckte die Hand aus in die
Richtung, in der er Matthias Mutter vermutete. Verwirrt griff sie zu und
musterte den Begleiter ihres Sohnes. Erst jetzt nahm sie den Blindenstock in
dessen linker Hand wahr. Das Entsetzen, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete,
war ein köstlicher Anblick, der Matthias unwillkürlich schmunzeln ließ.
„Wir gehen dann schon mal rein“, unterbrach Matthias das
Schweigen, das sich ausgebreitet hatte. „Papa ist bestimmt im Wohnzimmer,
oder?“ Ohne auf das Nicken seiner Mutter zu achten, führte er seinen Freund
behutsam durch den Flur bis zum Wohnzimmer, wo sein Vater mit einer Zeitung in
der Hand in seinem Sessel saß. „Papa,
darf ich dir Philipp vorstellen, meinen Freund?“ Matthias blieb stützend hinter
seinem Freund stehen, als er den vor seinen Vater geführt hatte. Herr Wittler
war unglücklich über die Homosexualität seines Sohnes, aber er hatte
schließlich verstanden, dass er es nicht ändern konnte. So oft er es auch
versuchte. Matthias war schwul und würde es bleiben. Dass er zum ersten Mal nun
auch mit einem festen Freund konfrontiert wurde, machte das Wissen nur noch
realer. „Guten Tag, Philipp“, begrüßte Matthias Vater den Besuch. Er stand auf
und schüttelte Philipps Hand, während er im Türrahmen das bleiche Gesicht
seiner Frau erblickte.
„Philipp ist blind, wie ihr inzwischen sicher bemerkt habt“,
erklärte Matthias das Offensichtliche, „er kann eure entsetzten Mienen zum Glück
nicht sehen. Aber ansonsten ist alles in Ordnung mit ihm und er ist der Mann,
den ich liebe.“ Zum ersten Mal hatte er es laut ausgesprochen, was er für Philipp
empfand, aber es war die Wahrheit. Vorsichtig führte er ihn zu dem gedeckten
Esstisch und ließ seinen Freund erst los, als dieser die Hände sicher auf der
Lehne des Stuhls hatte. „Bin gleich wieder da“, flüsterte er in Philipps Ohr
und gab ihm einen hauchzarten Kuss auf die Lippen. „Kann ich dir helfen, Mama?“
Das Essen begann schweigend. Matthias achtete darauf, dass
Philipp wusste, was in den Schüsseln war, die auf dem Tisch standen, und genau
das bekam, was er haben wollte. Er berichtete seinen Eltern enthusiastisch von
dem schönen Heiligabend, den sie in Philipps Familie gehabt hatten, und
strahlte seinen Freund die ganze Zeit an. „Will er noch etwas Kartoffeln?“
Matthias Mutter sah ihren Sohn hilflos an, doch sein Vater verstand den
wütenden Blick seines Sohnes und wandte sich direkt an Philipp. „Möchten Sie
noch etwas, Kartoffeln oder Gemüse?“ Seltsamerweise war das Eis damit gebrochen
und es kam sogar zu einer richtigen Unterhaltung.
„Überstanden! Schlimm aber gerade noch erträglich“,
klassifizierte Matthias den Besuch bei seinen Eltern schließlich, als sie
endlich wieder in Philipps Wohnung angekommen waren. „Du hast dich tapfer
geschlagen und mit Sicherheit eine Belohnung verdient.“ Hart presste er seinen
Mund auf die Lippen seines Freundes und hielt ihn an der Wand fest. Ohne die
Lippen zu lösen, zerrte er an Philipps Hose und zog sie mit einem Schwung von
den Hüften. Er ging auf die Knie und ließ seine Zunge um das wippende Glied
gleiten, bevor er es mit einem Mal in seinem Mund aufnahm. Das überraschte
Keuchen aus Philipps Mund spornte ihn nur noch mehr an. Mit den Händen knetete
er die festen Pobacken und massierte die harten Kugeln, während er leckte,
saugte und ihn immer tiefer in sich aufnahm. Es ging schnell. Viel zu schnell.
Plötzlich stieß Philipp unerwartet zu und ergoss sich in einem Schwall in ihn.
Matthias würgte ein bisschen, doch er schluckte tapfer alles, was sein Freund
ihm geschenkt hatte. Er stand auf und nahm Philipp in den Arm, der mit weichen
Knien am ganzen Körper zitterte. „Das….das war….wunderbar…“, stammelte er
schließlich leise.
„Das war nur der Anfang“, flüsterte Matthias zärtlich, „wir
haben noch die ganze Nacht….und unser ganzes Leben.“
ENDE
Und hier geht es morgen weiter
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